Kein Israelboykott im Namen Adornos!

Offener Brief zur Einladung von Linda Martín Alcoff für die Adorno-Vorlesungen 2022

 

25.6.2022

Die Frankfurter Bürgermeisterin Nargess Eskandari-Grünberg schrieb am Donnerstag, den 23.6. auf ihren Social-Media-Kanälen: “Wenn man BDS einlädt, bekommt man Antisemitismus.”

Die aktuellen Antisemitismusskandale der “documenta fifteen” sind zwar bei weitem nicht die ersten Vorfälle, die eine solche Aussage untermauern, verdeutlichen aber wohl eindrucksvoll die Blindheit, die der Kultur- und Wissenschaftsbetrieb immer noch an den Tag legt, wenn es um Juden- und Israelhass geht. Das Ausmaß der antisemitischen Positionen, die dieses Jahr auf der “documenta fifteen” staatliche Förderung und gesellschaftliche Öffentlichkeit bekommen, scheint nun aber doch auch für weite Teile der politischen Landschaft nicht mehr ignorierbar.  

Vor diesem Hintergrund ist es besonders schockierend, dass für die diesjährigen Adorno-Vorträge des Instituts für Sozialforschung (IfS) mit Linda Martín Alcoff eine Philosophin eingeladen wurde, die der antiisraelischen „Boycott, Divestment and Sanctions (BDS)“-Bewegung nahe steht. Ihre drei Vorlesungen laufen unter dem Titel „Race, Culture, History“ und finden vom Mittwoch, 29. Juni bis Freitag, 1. Juli 2022 im Hörsaal IV am Campus Bockenheim statt.

In der Vergangenheit hat Linda M. Alcoff ihre Nähe zur BDS-Bewegung etwa dadurch geäußert, dass sie im Mai 2021 den Aufruf “Free Palestine/Strike MoMA: A Call to Action” als Unterzeichnerin unterstützte. Inmitten der gewaltsamen Eskalation zwischen Israel und dem Gaza-Streifen, bei der die Terrororganisation Hamas über 4000 Raketen aus Gaza auf israelische Zivilist:innen abfeuerte, riefen die Unterzeichner:innen zum Protest gegen das Museum of Modern Art (MoMa) in New York City auf. Anlass dieser Forderungen waren die Verbindungen von Mitgliedern des MoMa-Vorstandes zum Staat Israel. 

Kritisiert wurden die Vorstände u. A. für ihre finanzielle Unterstützung von Programmen wie “Birthright”, die jüdischen Jugendlichen Reisen nach Israel ermöglichen, oder die vermeintliche finanzielle Unterstützung des kulturellen Austausches zwischen US-amerikanischen Kunstinstitutionen mit Israel. Darüber hinaus wurde Ronald S. Lauder – der Präsident des World Jewish Congress und Ehrenvorsitzender des MoMa – in dem Brief dafür angeprangert, dass er sich international für die Übernahme der Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Association (IHRA) einsetzt. In dem gesamten Aufruf wird die Aggression der Hamas, die ursächlich für die militärische Eskalation im vergangenen Mai war, mit keinem Wort erwähnt. Stattdessen positionieren sich die Unterzeichner:innen unmissverständlich gegen die “Fortsetzung des israelischen Siedlerkolonialprojekts [und] sein Apartheidregime” – was nicht anders als die Ablehnung des Staates Israel zu verstehen ist – und rufen “Freunde, Kollegen und Gemeinschaften auf, sich dem Kampf für ein freies Palästina anzuschließen” (Anm.: Übersetzung der Verfasser:innen).

Der im Brief vorgetragene Vorwurf des “artwashing” durch kulturellen Austausch und der klare Aufruf an kulturelle Institutionen, sich durch Boykott am Kampf gegen Israel zu beteiligen, sind besonders schockierend vor der Hintergrund des Skandals über die “documenta fifteen”. Hier blieben die Warnungen von Betroffenen und jüdischen Organisationen vor zu erwartendem Antisemitismus von Seiten der Organisator:innen unbeachtet, genauso wie der Hinweis auf das deutliche Fehlen israelischer Künstler:innen auf der documenta. Begegnet wird solchen Hinweisen stattdessen mit dem bagatellisierenden Verweis auf die spezifische Perspektive von Vertreter:innen des Globalen Südens: Ein kulturalistisches Argument, das impliziert, dass eben jene einen in Europa deutlich identifizierbaren Antisemitismus nicht als solchen erkennen könnten, und dem damit selbst ein zutiefst reaktionäres Bild auf Herkunft und Ethnien unterstellt werden müsste. 

Dass es nicht um kulturelle Perspektiven, sondern den universellen Hass auf Jüdinnen und Juden geht, zeigen immer wieder die Verwicklungen von BDS-Unterstützer:innen und Sympathisant:innen mit Terrororganisationen. [1] Auch Linda M. Alcoff rief bereits 2017 u.A. gemeinsam mit Rasmea Odeh – einer rechtskräftig verurteilten PFLP-Terroristin – zu einer Veranstaltung auf. Odeh wurde für ihre Rolle in einem Anschlag auf einen Jerusalemer Supermarkt 1969 verurteilt, bei dem zwei Studierende ermordet und neun verletzt wurden. Im Jahr 2019 wurde Odeh aufgrund ihrer terroristischen Aktivitäten ihr Visum für die Einreise nach Deutschland entzogen.

Wir sind schockiert über die Ignoranz des Frankfurter Instituts für Sozialforschung gegenüber der juden- und israelfeindlichen Positionen ihrer Referent:innen, jedoch nicht überrascht über diese neuerliche Einladung. Bereits im Februar vergangenen Jahres trat das IfS als Mitveranstalter an der Konferenz “Die (Re)konstruktion der Welt – Hilfe. Solidarität. Politik” vom 12.-14.2.2021 auf, bei der auch Achille Mbembe als Gast referierte, nachdem wenige Wochen zuvor die Dämonisierung und Delegitimierung Israels in Mbembes Werk umfassend konstatiert wurde. [2] Bereits letztes Jahr merkte das Junge Forum Frankfurt an, “wie selektiv das historische Bewusstsein des akademisch verklausulierten Antisemitismus vorgeht. Die Bedeutung, die die Kritik und Erforschung des Antisemitismus in der Gründung des Frankfurter Instituts [für Sozialforschung] hatte,[3] die Verfolgung und schließlich Emigration der Mitglieder während des Nationalsozialismus und den Erziehungsauftrag, den die wiedergekehrten Wissenschaftler:innen an die Deutschen herantrugen, ‘daß Auschwitz nicht noch einmal sei’ [4] – all diese konstituierenden Erfahrungen verschwinden unter der Vergleichbarkeit von Unrecht und Ungleichheit.”

Nun wird wieder im Namen Adornos eine Person eingeladen, deren antizionistische Äußerungen in der Vergangenheit uns sehr besorgt darüber zurücklassen, wie “die Möglichkeit einer antikolonialen und widerständigen Praxis” in den Adorno-Vorträgen Alcoffs aussehen mag. Die Befürchtung wächst, dass bei ihren Ausführungen darüber, “wie bestehende problematische Vorstellungen über den Globalen Süden zu überwinden sind, um Kulturen in ein neues, emanzipatorisches Verhältnis zueinander setzen zu können”, antisemitische Auslassungen gegenüber dem jüdischen Staat zu erwarten sind. 

Wer wirklich glaubt, solche Befürchtungen wären motiviert von einer rassistisch begründeten Abwehr postkolonialer Theoriebildung, muss in der vergangenen Woche tatsächlich Ohren und Augen fest verschlossen gehalten haben. 

Wir schließen uns daher der Aussage der Bürgermeisterin Eskandari-Grünberg an: 

Wer BDS einlädt, der lädt unweigerlich auch Antisemitismus ein. Und wo antisemitische Akteur:innen ein Forum für ihre Ansichten bekommen, steht langfristig auch die Sicherheit von Jüdinnen und Juden auf dem Spiel. 

Antisemitismus ist keine hippe theoretische Perspektive und schon gar keine kritische Theorie. Wer mit Terrorist:innen zusammenarbeitet und aktiv zur Vernichtung des einzigen jüdischen Staates aufruft, dem darf in den Vorlesungsräumen der Goethe-Universität nicht unwidersprochen ein Forum geboten werden.

Die Hochschulrektorenkonferenz hat 2019 die IHRA-Definition angenommen und sich damit entschieden gegen BDS und jeden – auch israelbezogenen Antisemitismus – an Hochschulen gewandt. Auch das Studierendenparlament der Goethe-Universität hat sich 2017 mit einer Resolution gegen antisemitische Boykott-Bewegungen an Hochschulen positioniert. Diese Forderungen gilt es nun konkret umzusetzen.

Wir fordern daher vom IfS eine klare Stellungnahme gegen die “BDS”-Bewegung und insbesondere gegen einen Boykott israelischer Künstler:innen, Akademiker:innen und Kulturinstitutionen. Wir fordern darüber hinaus eine kritische Auseinandersetzung mit dem antisemitischen Gehalt gegenwärtiger postkolonialer Theorien und damit, wie postkoloniale theoretische Ansätze ohne Antisemitismus aussehen können. 

Die Unterzeichner:innen

Junges Forum der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) Frankfurt

Bundesvorstand des Jungen Forums der DIG 

Verband Jüdischer Studierender Hessen (VJSH)

Mideast Freedom Forum Berlin (MFFB)

 

[1] Vgl. auch die jüngst ans Licht gekommen Lobpreisungen der Hisbollah des auf der “documenta fifteen” ausstellenden Künstlers Hamja Ahsan.

[2] Zur ausführlichen Kritik am Antisemitismus in Mbembes Werk siehe Alex Gruber (2021): Speerspitze des postkolonialen Antisemitismus. Achille Mbembes ›Nekropolitik‹ als Handreichung für deutsche Erinnerungskultur. In: sans phrase Nr. 17. oder ders. im Gespräch mit Philipp Lenhard und Niklaas Machunsky über „Die Causa Mbembe - Antisemitismus, Postkolonialismus und deutsche Erinnerungskultur“: https://m.youtube.com/watch?v=eQMaT860ZTM 

[3] Die finanzielle Unterstützung durch Hermann Weil bei der Institutsgründung kam unter anderem zustande, weil die kritische Erforschung des Anitsemitismus als explizites ZIel des Instituts festgesetzt wurde, gerade um kritische Erforschung des Antisemitismus zu ermöglichen. Vgl.: Philipp Lenhard (2019): Friedrich Pollock - Die graue Eminenz der Frankfurter Schule. Frankfurt am Main: Suhrkamp. und: Jeanette Erazo Heufelder (2017): Der argentinische Krösus. Kleine Wirtschaftsgeschichte der Frankfurter Schule. Berlin: Berenberg Verlag.

[4] Theodor W. Adorno (1966): Erziehung nach Auschwitz. In: Ders. (2011): Kulturkritik und Gesellschaft II (GS 10.2) Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 674.