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Buchvorstellung mit Tilman Tarach:

»Teuflische Allmacht. Über die verleugneten christlichen Wurzeln des modernen Antisemitismus und Antizionismus.«

 

Zeit: Dienstag, 20. September 2022 | 19:30 Uhr
Ort: Bajszel (Programmschänke), Emser Str. 8/9, Berlin-Neukölln
 

Wenn hierzulande kritisch vom Antisemitismus die Rede ist, liegt der Fokus regelmäßig auf dem völkisch-identitären oder islamischen Antisemitismus. Dabei beruft man sich nicht selten auf »unsere« vermeintlich tolerante »Kultur des christlich-jüdischen Abendlandes«. Im Vortrag wird diese Geschichtsklitterung korrigiert und gezeigt, dass der Judenhass eine Konstante in der christlichen Geschichte ist – von den ersten durch Christenhand niedergebrannten Synagogen kurz nach Erhebung der neuen Lehre zur Staatsreligion über die Ritualmord- und Brunnenvergiftungslegenden bis hin zum antizionistischen Engagement der Kirchen der Gegenwart. Christliche Gründungsmythen legten dabei den Grundstein für die Vorstellung vom Juden als heimtückischen, mächtigen Strippenzieher und für die Halluzination einer »jüdischen Gefahr«, die das eigene Kollektiv bedroht. Tatsächlich war die im Christentum wurzelnde Idee einer jüdischen Bedrohung auch eine notwendige – wenngleich keine hinreichende – Bedingung für die nationalsozialistische Judenvernichtung.

Die weithin vorgenommene Trennung zwischen christlichem »Antijudaismus« und modernem völkischen »Antisemitismus« folgt einer Entlastungsstrategie. Ersterer soll heute als überwunden gelten, Letzterer hingegen als gänzlich neues Kapitel der Geschichte erscheinen. So gelingt die moralische Rettung des eigenen, identitätsstiftenden Kollektivs, das nach wie vor als christlich – oder als christlich geprägt – empfunden wird. Tatsächlich jedoch wies bereits der alte christliche Judenhass völkische, auf Abstammung und »jüdisches Blut« bezogene Merkmale auf, wie etwa die spanischen »Blutreinheitsgesetze« des Spätmittelalters gegen zum Christentum konvertierte Juden und ihre Nachkommen zeigen. Umgekehrt fanden Versatzstücke des christlichen Antijudaismus Aufnahme in die Gedankenwelt der modernen Antisemiten und Nationalsozialisten. Hitler berief sich schon in ›Mein Kampf‹ auf die Evangelien; 1938 schließlich brachte er die Idee der Vernichtung der Juden mit dem ›Blutfluch‹ aus dem Matthäus-Evangelium (Mt. 27:25) in Verbindung. Führende Nationalsozialisten – und die Deutschen insgesamt – waren zutiefst christlich sozialisiert und damit gleichsam dazu konditioniert, die Juden reflexhaft als Aggressoren wahrzunehmen. Zugleich kollaborierten die Kirchen von Anfang an mit dem NS-Regime und betrachteten es bestenfalls als Konkurrenz.

Auch wenn im Verlauf der Geschichte einige wenige christliche Würdenträger die Juden in Schutz nahmen und in völkischen Kreisen mitunter der Vatikan sogar selbst zu einem Objekt von Verschwörungslegenden wird, ist das christliche Bild einer »teuflischen Allmacht« der Juden gleichwohl zu einem unbewussten, aber festen Bestandteil der abendländischen Kultur geworden. Antijüdische Hetze, die Entrechtung, Vertreibung und Ermordung der Juden durch Christen waren die Folge. Noch die Elemente des modernen Judenhasses, auch des Hasses auf Israel, müssen als Echo judenfeindlicher christlicher Gründungsmythen verstanden werden.

Im Islam wurde das christliche Bild von den Juden in abgewandelter Form als Erbe übernommen. Tatsächlich trägt die palästinensische, syrische und iranische antizionistische Propaganda oft die Handschrift dieses christlichen Erbes. Im Vortrag soll daher auch kurz auf die Dynamik des islamischen Antisemitismus eingegangen werden, der seit dem 20. Jahrhundert erheblich an Schärfe gewonnen hat.

Dr. Tilman Tarach lebt in Berlin und Istanbul. Anfang 2022 ist sein Buch »Teuflische Allmacht. Über die verleugneten christlichen Wurzeln des modernen Antisemitismus und Antizionismus« erschienen. Sein erstes, 2016 in aktualisierter Auflage erschienenes Buch behandelt den israelisch-palästinensischen Konflikt: »Der ewige Sündenbock. Israel, Heiliger Krieg und die ‘Protokolle der Weisen von Zion’: Über die Scheinheiligkeit des traditionellen Bildes vom Nahostkonflikt.«